Rede zur Kazaguruma-Demonstration zum 8. Jahrestag von Fukushima 9. März 2019 (http://kazagurumademo.de/)

Atomausstieg

Mein Name ist Stephan Worseck und ich bin in dem Anti-Atom-Bündnis Berlin Potsdam das 2012 als Wannsee-Gruppe seine Arbeit aufnahm, aktiv. Weiterhin bin ich auch in der Dialoggruppe des Helmholtz-Zentrums Berlin, das ich in dieser Rede als HZB abkürzen werde, engagiert.

Ich bin in Potsdam, in der ehemaligen DDR, aufgewachsen. Meine Grundschule war in einem Gebäude untergebracht, das heute „Truman-Villa“ genannt wird und uns wurde damals gelehrt, dass 1945 in diesem Gebäude der damalige Präsident der USA, Harry S. Truman, die menschenverachtenden Befehle zum Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki erteilt hatte.

 

Die Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011 löste in mir eine Wende ein. Natürlich war es eine neue Qualität der medialen Berichterstattung – das war kein science-fiction – man sah real explodierende Kernreaktoren in dem Spitzen-Technologie-Land Japan.

Wichtig war für mich auch die Kombination mit einem lokalen Bezug. Die Meldung von einem Riss im Wannsee-Rektor und die Meldung dass ein Stresstest für den Forschungsreaktor durchzuführen sei, gingen in den Potsdamer Medien herum. Seit dieser Zeit engagiere ich mich in dem Anti-Atom-Bündnis Berlin Potsdam.

Aber den meisten Berliner ist auch heute nicht klar, dass es in einem Katastrophenfall auch im Berliner Forschungsreaktor zu einer Kernschmelze und zu einer gewaltigen Freisetzung von Radioaktivität kommen könnte und zwar nur eine Stufe geringer als in Fukushima, gemessen auf einer 7 stufigen Skala.

In dem Aufruf zur heutigen Demo steht „Die menschliche Art ist rund 8.000 Generationen alt; weniger als drei Generationen haben die gewaltige Menge Atommüll geschaffen, die nun über 33.000 Generationen von der Biosphäre fern gehalten werden muss.“

Ja, wir sind Teil dieser knapp drei Generationen, die diesen Atommüll geschaffen haben, egal ob aktiv oder passiv duldend.

Lassen Sie mich zunächst ein paar Grundüberzeugungen aufzählen, die ich in der Beschäftigung mit diesem Forschungsreaktor gewonnen habe und die nicht nur auf die Problematik „Atom“ fokussiert sind.

Öffentlich finanzierte Großforschung

  • Politiker aller Couleur nicken regelmäßig die Fortschreibung der Finanzierung wissenschaftlicher Großforschungsgeräte, wozu auch der Berliner Forschungsreaktor zählt, von Jahr zu Jahr ab, ohne den gesellschaftlichen Sinn und den tatsächlichen Nutzen für die Menschen nochmals zu hinterfragen.
  • Wenn wissenschaftliche Großforschungsgeräte einmal bewilligt und gebaut sind, dann hinterfragt auch der einzelne Wissenschaftler nicht mehr die möglichen Nebenwirkungen seines Tuns, obwohl Politiker/Volksvertreter wie auch die Wissenschaftler ihr Handeln vor sich und den anderen Menschen zu verantworten haben.

Radioaktive Belastung im Normalbetrieb

  • Im Namen der öffentlichen Forschung hat man es in Berlin vor vielen Jahren für richtig befunden, dass das Hahn-Meitner Institut, heute das Helmholtz-Zentrum Berlin, täglich, da angeblich nicht vermeidbar, u.a. einen Kubikmeter mit einem GBq Tritium belastetes radioaktives Wasser, in dem sich die Brennstäbe befinden, per amtlichen Bescheid über die Abluft über Berlin und Potsdam verteilen darf. Die Befürworter dieses Tuns argumentieren, das sei ja weit, weit unter der deutschen Freigrenze für Tritium und damit vollkommen ungefährlich.
    In Fukushima muss dagegen Kühlwasser mit einer weit geringeren Tritium-Aktivität in riesigen Tanks gelagert werden.
  • Es gibt keine wirkliche wissenschaftliche Basis zu den Grenzwerten, d.h. zu Langzeituntersuchungen von aufgenommenem Tritium. Kritiker mahnen, dass die Wirkung des organisch gebundenen Tritiums vollkommen unterschätzt wurde. Doch es fehlt der politische Wille und damit die Finanzierung für derartige Forschungen. Damit sind solche Grenzwerte eher administrative Beruhigungspillen.
  • Wenn aber der Staat keine Forschung zu Langzeiteffekten von radioaktiver Strahlung in niedrigen Dosen fördert, dann betreibt der Staat eine Vogel-Strauß-Politik: „Was ich nicht sehen will, existiert auch nicht“.

Katastrophenschutz

Schwenken wir unsere Betrachtung wieder zu den Ereignisfällen.

  • Es konnte mir noch keiner erklären, warum man in Berlin am notwendigen Containment zum Schutz vor Flugzeugabstürzen und Terrorangriffen für den Forschungsreaktor sparen durfte.
  • Nach der Feststellung der Reaktorsicherheitskommission, dass der Berliner Forschungsreaktor nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert ist, hätte die Entscheidung für eine Abschaltung erfolgen müssen.

Was ist nun in Berlin nach den Ereignissen in Fukushima bezüglich des Katastrophenschutzes besser geworden?

  • Ein Kernsatz der Einschätzung der deutschen Strahlenschutzkommission zu Fukushima war 2015: „Das Krisenmanagement aller Beteiligten stand auf keiner ausreichend tragfähigen Planungsgrundlage.
    Die Kommission forderte für Deutschland: „die Weiterentwicklung und Überprüfung der Sicherheitskultur im Notfallschutz“
  • Die Kommission forderte für Deutschland: Die Notfallplanungen sind künftig stärker an den potenziellen Auswirkungen als an der berechneten Eintrittswahrscheinlichkeit von Unfällen zu orientieren.
  • Doch der vorliegende Katastrophenschutzplan[1] ist das Eine, ein Bereitstellen der notwendigen Ressourcen und eine Umsetzung im Falle einer Katastrophe etwas Anderes. Bis heute sind uns Behörden von Berlin eine Antwort auf die Frage schuldig, welche technischen Ressourcen sie im Falle einer Kernschmelze am Forschungsreaktor eingeplant haben und ob die laufenden Aussonderungen von Katastrophenschutzfahrzeugen aus Alters- und Verschleißgründen einen Einfluss auf die Sicherheit haben würden.
  • Und der jüngste großflächige Blackout in Berlin hat ebenfalls Mängel in der Planung und Koordinierung des Katastrophenschutzes offenbart.

Atommüll im Namen der Forschung

  • Unter der Flagge der Forschung wurde auch mit dem Forschungsreaktor in Wannsee Atommüll produziert. Nach 46 Betriebsjahren soll am Ende dieses Jahres der Reaktor abgeschaltet werden. Wir können nur hoffen, dass in den noch verbleibenden 297 Tagen nicht doch noch eine Katastrophe eintritt.
  • Die letzten Brennstäbe werden nun in Deutschland verbleiben. Nach einer Nachbetriebsphase wird sich das HZB in die Frage nach dem wohin mit dem Atommüll – ohne Endlager - einreihen! Damit stehen auch hier die Fragen der sicheren Zwischenlagerung.
  • Wenn es zu einem Rückbau kommen wird, dann wird auch hier alsbald in der näheren Umgebung das Debakel um die Verbringung der eingeschränkt freigegebenen Reststoffe auf Deponien beginnen. Diese „freigegebenen (freigemessenen) Reststoffe“ dürfen dann nicht mehr „radioaktiver Abfall“ genannt werden, obwohl sie noch messbare Radioaktivität enthalten.

Die Dynamik von Grenzwerten

  • Lassen Sie mich kurz in Analogien daran erinnern, wie die Menschen ihren Umgang mit Schadstoffen innerhalb weniger Generationen verändert und welche Genese die entsprechenden Gesetze durchlaufen haben.
  • Asbest kannte man schon in der Antike. Im 20. Jahrhundert war die Blütezeit der Anwendung von Asbest. Vollkommen legal verbaute man Asbest. Doch nach der Blüte kam die Erkenntnis. 1995 wurde in Deutschland ein vollständiges Verbot für die Herstellung und Verwendung von Asbestprodukten wegen seiner krebserzeugenden Eigenschaften durchgesetzt. Doch nicht in allen Staaten der Welt wird gleich gehandelt.

Das heißt, Grenzwerte sind immer aus zwei Gründen zeitlich determiniert A) Der wissenschaftliche Kenntnisstand schreitet bezüglich der Risikobewertung immer weiter voran und B) die tatsächliche Festsetzung der Grenzwerte ist an das jeweilige politische System und deren Interessen gebunden.

  • Ein zweites Beispiel:
    Eigentlich wissen wir, dass selbst die führenden Industrieländer in der Geschichte eher unzureichend als nachhaltig in Fragen von klassischem Industrie- und kommunalem Müll vorgegangen sind.
  • Das folgende lokale Beispiel hat nichts mit dem Helmholtz-Zentrum selbst zu tun. Verbindende Elemente sind nur die lokale Nähe und ein Analogie-Schluss.
    Es handelt sich um die „Deponie Wannsee“, die von 1958 bis 1979 betrieben worden ist. In nur 21 Betriebsjahren hat man dort neben Kommunalmüll auch 15 Millionen Tonnen Industrieabfälle und eine halbe Million Kubikmeter flüssige Sonderabfälle verbracht. Und ich denke, dass dies damals tatsächlich nicht illegal war, d.h. gedeckelt durch Gesetze und Grenzwerte.
    Die Deponie Wannsee[2] hätte ohne eine nachträgliche Sanierung von oben weiterhin ungehindert über die Deponiesickerwässer Schadstoffe ins Grundwasser gelangen lassen – eigentlich eine tickende Zeitbombe.
    D.h. an diesem kleinen Beispiel haben wir ebenfalls wieder gesehen, dass sich in historisch kurzer Zeit das Wissen, das Bewusstsein und die Bewertung sowie das Regelwerk der Deutschen in Form von Grenzwerten und Gesetzen geändert haben.
  • Wen wundert es also, dass die Basis für das sogenannte
    10 µSv Konzept zur Freimessung von radioaktiven Abfällen, das die derzeitige gesetzliche Basis für Rückbauprojekte darstellt, von Kritikern als kurzsichtig bezeichnet wird. In den Stoffkreislauf gehören nur Materialen, die statistisch gesichert keine zusätzliche Radioaktivität enthält.
  • Ich unterstütze deshalb die Stilllegungsstrategie des IPPNW[3].

Das nahende Betriebsende des Forschungsreaktors

  • Heute gibt es zum Glück für viele Bereiche sogenannte „Umweltverträglichkeitsprüfungen“, eine Chance für Umweltverbände und für Betroffene Einfluss auf Planungen zu nehmen.
  • So etwas steht auch für den Berliner Forschungsreaktor derzeitig an. Das Helmholtz-Zentrum-Berlin plant den Rückbau. In Vorbereitung auf dieses Genehmigungsverfahren hat sich das Helmholtz-Zentrum-Berlin für einen Dialogprozess mit Interessierten entschieden. Dieser Dialogprozess wurde vor einem Jahr initiiert.
  • Das Helmholtz-Zentrum-Berlin[4] hat im nahen Umfeld des Reaktors in einer Postwurfsendung vor einigen Wochen nochmals darum gebeten, den Kreis der Interessierten Bürger zu erweitern. Es sind alle Interessierten eingeladen, sich dieser Thematik wegen seiner übergreifenden aber auch lokalen Brisanz im Dialog mit dem HZB zu stellen.
  • Auch wenn sich das Helmholtz-Zentrum-Berlin für einen Dialogprozess entschieden hat, die lokalen Probleme reihen sich ein in die Grundprobleme Deutschlands im Umgang mit dem Atommüll. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um Atommüll aus Forschungs- oder Leistungsreaktoren oder Atomfabriken handelt.
  • Die Chancen und die Grenzen dieses freiwilligen Dialogprozesses werden sich erst in der Zukunft ergeben.

Ich danke für Eure Aufmerksamkeit

 

[1] https://www.berlin.de/senuvk/umwelt/atom/de/katplan.shtml

[2] https://www.berlin.de/ba-steglitz-zehlendorf/politik-und-verwaltung/aemter/umwelt-und-naturschutzamt/boden-und-altlasten/artikel.62162.php

[3] https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/Stilllegung_Atommuell/Intac_Neumann_2016_IPPNW-Stellungnahme_AKW-Rueckbau_Freigabe.pdf

[4] www.hz-b.de/rueckbau

 

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