Jutta Paulus (https://www.jutta-paulus.de/) informierte die BI über eine Antwort der Europäischen Kommission auf die parlamentarische Anfrage vom 23.12.2020 (E-007050/2020) zu: Grenzüberschreitendes UVP-Verfahren zu Laufzeitverlängerungen von Reaktoren in der EU.
In der Antwort erinnert die Kommission daran, dass in erster Linie die Mitgliedstaaten für die ordnungsgemäße Umsetzung des EU-Rechts, einschließlich der UVP-Richtlinie zu sorgen haben. Die Mitgliedsstaaten haben die rechtliche Verpflichtung, eine Bewertung der Risikovorsorgepläne der benachbarten AKW vorzunehmen.
Ist sich dessen Deutschland bewußt?
Aber worum geht es eigentlich? Lesen Sie zunächst die Anfrage von Jutta Paulus und weiteren Abgeordneten an die EU-Kommission:
Eine Anfragebeantwortung der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland zeigt, dass in der EU folgende Reaktoren über ihre ursprüngliche Betriebsdauer hinaus laufen:
1 Block AKW Borssele (Niederlande)
1 Block AKW Tihange (Belgien)
4 Blöcke AKW Dukovany (Tschechien)
1 Block AKW Santa María de Garoña, 2 Blöcke AKW Almaraz (Spanien)
2 Blöcke AKW Kosloduj (Bulgarien)
4 Blöcke AKW Blayais; 4 Blöcke AKW Bugey; 4 Blöcke AKW Chinon, 4 Blöcke AKW Cruas; 4 Blöcke AKW Dampierre; 6 Blöcke AKW Gravelines, 2 Blöcke AKW Saint-Laurent; 4 Blöcke AKW Tricastin (Frankreich)
Gemäß EuGH-Urteil (Az.: C‑411/17) war die Laufzeitverlängerung der belgischen Reaktoren Doel-1 und Doel-2 über die ursprünglich geplante Betriebsdauer ohne grenzüberschreitende UVP illegal.
1. Hat die Kommission Schritte unternommen, um Vertragsverletzungsverfahren hinsichtlich der Laufzeitverlängerungen der gelisteten Reaktoren zu prüfen? Falls ja, welche Schritte wurden gesetzt? Falls nein, wieso nicht?
2. Welche Schritte sind – auch hinsichtlich der Umsetzung des EuGH-Urteils in das Übereinkommen von Espoo – in Planung?
3. Mit dem Argument der Stromversorgungssicherheit wurde der Weiterbetrieb von Doel-1 und Doel-2 trotz ausständiger UVP gestattet. Eine Studie des Umweltinstituts München(2) falsifiziert jedoch dieses Argument der Stromversorgungssicherheit Belgiens. Wie überprüft die Kommission die Richtigkeit der Angaben von AKW-Betreiberunternehmen zur Stromversorgungssicherheit?
Antwort der Europäischen Kommission
In seiner Vorabentscheidung in der Rechtssache Doel C-411/17(1) kam der Gerichtshof der Europäischen Union zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke Doel 1 und Doel 2 um zehn Jahre um ein Projekt handelt, das in den Anwendungsbereich der Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP)(2) fällt und somit einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss, und dass ein solches Projekt auch dem in der UVP-Richtlinie vorgesehenen grenzüberschreitenden Prüfverfahren zu unterziehen ist.
Die Vertragsparteien des Übereinkommens über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen (Espoo-Übereinkommen) einigten sich im Dezember 2020 auf Leitlinien zur Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken(3). Die Kommission wird Leitlinien zu den operativen Auswirkungen der Rechtssache C‐411/17 auf die rechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten bei Änderungen und Laufzeitverlängerungen von Projekten, einschließlich Kernkraftwerken, vorlegen.
Unbeschadet der Befugnisse der Kommission als Hüterin der Verträge obliegt es in erster Linie den Mitgliedstaaten, für die ordnungsgemäße Umsetzung des EU-Rechts, einschließlich der UVP-Richtlinie, zu sorgen. Was die in der Anfrage genannten Kraftwerke betrifft, so wird die Kommission unbeschadet der oben erwähnten rechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten eine Bewertung der Risikovorsorgepläne vornehmen, die die Mitgliedstaaten bis Januar 2022 vorlegen müssen. Diese Pläne(4) sollen Maßnahmen zur Prävention und Eindämmung von Stromversorgungskrisen enthalten, die auf der Analyse einer Reihe konkreter regionaler bzw. nationaler Szenarien für Stromversorgungskrisen basieren.
(1) Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (Große Kammer) vom 29. Juli 2019 (ECLI:EU:C:2019:622).
(2) Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 26 vom 28.1.2012, S. 1).
(3) Unbearbeitete Fassung — https://unece.org/sites/default/files/2020-12/ECE.MP_.EIA_.2020.9_Guidance_on_LTE__ENG_As_finalized_9.12.2020.pdf
(4) Erstellt gemäß der Verordnung (EU) 2019/941 über die Risikovorsorge im Elektrizitätssektor.