Anke Herold wurde zum 1. April 2018 neues Mitglied der Geschäftsführung am Öko-Institut e.V.Sie übernimmt Aufgaben mit Schwerpunkt auf Wissenschaft und Forschung am Standort Berlin. Die international profilierte Wissenschaftlerin war bislang Forschungskoordinatorin für internationale Klimapolitik am Öko-Institut und hat seit 1998 die internationalen Klimaverhandlungen als Verhandlungsführerin für die Europäische Union und später als Chair begleitet.
Ende August mussten die Mitgliedstaaten der EU ihre finalen Klima- und Energiepläne einreichen, die Regierungen darstellen, wie sie ihre Klimaziele für 2030 und 2040 erreichen wollen. Diese Pläne zeigen, dass die osteuropäischen Staaten auf eine gemeinsame Strategie setzen: den Ausbau der Atomenergie.
Polen hat bisher kein Atomkraftwerk, plant aber, 1,5 Gigawatt bis 2035 und 4,5 Gigawatt bis 2040 zu installieren. Der Bau des ersten Reaktors soll 2024 beginnen; er soll ab 2033 Strom liefern.
Tschechien möchte den Anteil der Atomenergie an der Stromerzeugung von gegenwärtig 29 Prozent auf 46 bis 58 Prozent im Jahr 2040 erhöhen. Nach dem tschechischen Klimaplan soll dafür die Laufzeit des Atomkraftwerks Dukovany von 40 auf 60 Jahre verlängert werden und danach ein neues AKW an diesem Standort gebaut werden. Außerdem sind neue Anlagen mit 2,5 Gigawatt Kapazität vorgesehen.
Bulgarien plant zunächst, die Lebensdauer des Atomkraftwerks in Kosloduj zu verlängern und bis 2035 ein Gigawatt an zusätzliche Kapazitäten zu installieren, bis 2040 sollen es dann zwei Gigawatt sein.
Ungarn möchte zwei neue Atomanlagen mit jeweils 1,2 Gigawatt Kapazität am bestehenden Standort Paks bauen.
Das Strahlenschutzgesetz von 2017 gab mit § 98 folgenden gesetzlichen Auftrag:
"Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit bewertet mögliche Notfallexpositionssituationen. Auf seinen Vorschlag erlässt die Bundesregierung einen allgemeinen Notfallplan des Bundes. Der allgemeine Notfallplan des Bundes wird als allgemeine Verwaltungsvorschrift mit Zustimmung des Bundesrates beschlossen."
Nun ist es endlich soweit. Sechs Jahre nach obigem Auftrag hat die Verwaltungsvorschrift mit dem sperrigen Namen "Allgemeine Verwaltungsvorschrift für einen Allgemeinen Notfallplan des Bundes nach § 98 des Strahlenschutzgesetzes (ANoPl-Bund)" das Licht der Welt erblickt!
Dass eine solche Verwaltungsvorschrift auch nach Abschaltung der letzten deutschen AKW's notwendig ist, erkennt man an den zugrunde gelegten Notfall-Referenz-Szenarien:
Das Umweltinstitut München e.V. informiert (18.05.2020):
Am Garchinger Forschungsreaktor FRM II wurde im März und April Radioaktivität freigesetzt. Dabei wurde der Jahresgrenzwert für das Kohlenstoffisotop C-14 um 15 Prozent überschritten. Dies meldete die Betreiberin, die TU München der Aufsichtsbehörde, dem bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz am 14. Mai – mehrere Wochen nach dem Zwischenfall.
Bei Trocknungsarbeiten an sogenannten Ionenaustauscherharzen sei versäumt worden, eine CO2 Abscheideeinheit anzuschalten, sodass das C-14 ungehindert in die Abluft gelangte.
Hätte der Zwischenfall früher bemerkt werden können?
"Das JRC (Joint Research Center) vereinigt am Standort Karlsruhe den größten Teil der ‚Forschung und Anwendung‘ der europäischen Gemeinschaft in Sachen Atom. Genehmigt sind dort die Lagerung von vielen radioaktiven Stoffen in erheblichen Mengen: 180 kg Plutonium, 359 kg Uran, 450 kg Thorium, 30 kg Neptunium und und und ... Das sind große Mengen Nuklearmaterial für eine Forschungseinrichtung. Sie bedürfen einer sicheren Lagerung. ..."
In der Pressemitteilung wird die Bundes- und Landesregierung Baden-Württemberg aufgefordert, sich in Brüssel für die Einstellung dieses Forschungsbereichs in Karlsruhe einzusetzen.
"Das wäre ein Gewinn für die anderen, wichtigen Forschungsbereiche des JRC am Standort Karlsruhe und vor allem ein Gewinn an Sicherheit für die Region, weil die Lagerung und Handhabung von so großen Mengen Nuklearmaterial nicht mehr notwendig wäre."
Übrigens wird das Land Baden-Württemberg seit 2021 durch eine grün-schwarze Koalition mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) regiert. Und was man zum JRC (Joint Research Center) Karlsruhe noch wissen sollte:
Das Anti-Atom-Bündnis Berlin Potsdam ist ein Unterzeichner eines offenen Briefes mit 51 Unterzeichner*innen aus 9 Ländern an die deutsche Bunderegierung.
Am 1. Juli 2020 übernimmt Deutschland den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. In dieser Zeit leitet und koordiniert die deutsche Bundesregierung die Arbeit des Rates. Die unterzeichnenden Organisationen und Initiativen erwarten von der Bundesregierung, dass sie den Vorsitz der Ratspräsidentschaft dafür nutzt, endlich einen konkreten Zeitplan für die Überarbeitung des Euratom-Vertrages zu vereinbaren.
Bereits in der Koalitionsvereinbarung von 2018 haben CDU/CSU und SPD vereinbart, dass der Euratom-Vertrag „hinsichtlich der Nutzung der Atomenergie an die Herausforderungen der Zukunft angepasst“ werden muss. Weiter wurde als Teil der Koalitionsvereinbarung festgehalten, dass in Zukunft „keine EU-Förderung für neue Atomkraftwerke“ erfolgen dürfe. Ausdrücklich weisen wir darauf hin, dass diese Vereinbarungen im Koalitionsvertrag bei weitem zu kurz greifen und fordern die Bundesregierung auf, sich innerhalb der EU für einen schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomenergie einzusetzen. Wir erwarten von der Bundesregierung jedoch, dass sie mindestens die im Koalitionsvertrag zugesicherte Revision des Euratom-Vertrages als einen Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft voranbringt.
Der Euratom-Vertrag verhindert einen ökologischen Umbau der Energieerzeugungsstruktur in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und steht damit den Klimazielen von Paris diametral entgegen. Schon in der Präambel des Vertrages zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft wird als Ziel eindeutig festgeschrieben, „die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie zu schaffen“ und die Atomenergie wird als „eine unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt“ dargestellt. Jüngst wurde auf den Einwand Österreichs in seiner Klage gegen die massive Subventionierung des Baus des Atomreaktors Hinkley Point in Großbritannien vom Gerichtshof festgehalten, dass „weder die Vorschriften über staatliche Beihilfen noch der Euratom-Vertrag eine technische Innovation verlangen“ und deshalb eine grundsätzliche Subventionierung des Baus neuer Atomkraftwerke durch die Nationalstaaten mit den europäischen Verträgen vereinbar sei.
Auf die eindeutige Ausrichtung des Euratom-Vertrages wurde in der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union zum geplanten neuen Atomkraftwerk in Hinkley Point ausdrücklich Bezug genommen. In der Pressemitteilung des Gerichtshofes wird darauf verwiesen, dass sich „das Ziel der Förderung der Kernenergie, insbesondere das Ziel der Schaffung von Anreizen für die Schaffung neuer Kapazitäten der Erzeugung von Kernenergie, mit dem Ziel der Euratom-Gemeinschaft, Investitionen im Bereich der Kernenergie zu erleichtern, deckt“. Spätestens nach diesem Urteil muss die Bundesregierung handeln und eine Überarbeitung des Euratom-Vertrages in den EU-Gremien anstoßen und bei den anderen Mitgliedstaaten einfordern.
Die Forderung aus dem Koalitionsvertrag, wonach „Deutschland bei der Reaktorsicherheit in Europa dauerhaft Einfluss ausüben müsse – auch nach dem Ausstieg aus der nationalen Nutzung der Kernenergie“ muss mit einer konkreten Ausstiegsforderung aus der Atomenergie verbunden werden. Auch die Forderung, „für umfassende Sicherheitsüberprüfungen“ und „ambitionierte verbindliche Sicherheitsziele in der EU“ einzutreten, ist sinnvoll und muss jedoch mit einer klaren Forderung nach einer schnellstmöglichen Abschaltung aller Atomkraftwerke und Atomanlagen in den Mitgliedstaaten der EU verbunden werden.
Von der deutschen Bundesregierung erwarten wir während des Vorsitzes im Rat der Europäischen Union in der zweiten Jahreshälfte 2020, dass sie
konkrete Vorschläge für die Auflösung oder Vertragsänderung des Euratom-Vertrages vorlegt, um die EU-weite Förderung der Atomkraft zu beenden
innerhalb der nächsten 6 Monate eine Vertragsstaatenkonferenz einberuft, um die o.g. Auflösung oder Revision in die Wege zu leiten
eine Verschärfung der Sicherheitsrichtlinie 2014/87/Euratom einleitet, nach welcher neue AKW – d.h. AKW, die 2020 oder danach in Betrieb genommen werden – in Zukunft das Sicherheitsniveau aktueller AKW erfüllen müssen (etwa EPR), statt wie bisher jenes von vor 30 Jahren, als deren Bauarbeiten begonnen wurden (etwa Mochovce 3&4/Slowakei)
Darüber hinaus fordern wir die Bundesregierung auf:
sich aktiv für die schnellstmögliche Abschaltung aller Atomkraftwerke in der EU einzusetzen
sich für die Aufnahme eines neuen Artikels in die EU-Verträge einzusetzen, der ein Verbot des Baus von neuen Atomkraftwerken in den Mitgliedstaaten der EU vertraglich festschreibt