Und doch bleiben Zweifel an der Unabhängigkeit bzw. der Gründlichkeit der Gerichte, wenn man in der Pressemitteilung vom 28.09.2017 des OVG Berlin Brandenburg unter dem Titel "Rechtmäßigkeit der Wannsee-Flugroute bestätigt" liest: "Das von den Klägern befürchtete Risiko eines betriebsbedingten Flugunfalls und der dadurch ausgelösten Freisetzung ionisierender Strahlung des Forschungsreaktors liegt im Bereich des sog. Restrisikos, das als Lebensrisiko von jedem zu tragen ist".
Warum sollte man zweifeln?
- Die Reaktorsicherheitskommission (RSK) hatte 2012 folgendes festgestellt: "Da beim BER II infolge des Absturzes eines Verkehrsflugzeugs oder eines schnell fliegenden Militärflugzeugs auf das Reaktorgebäude ein Kernschmelzen ohne Wasserüberdeckung mit erheblichen radiologischen Auswirkungen (Überschreitung von Eingreifrichtwerten des Katastrophenschutzes für eine Evakuierung der Bevölkerung in der Umgebung der Anlage) nicht ausgeschlossen werden kann, ist keiner der von der RSK für Flugzeugabsturz definierten Schutzgrade erfüllt."
Im Streit um die Wannseeroute sollen Sachverständige des TÜV Süd die mögliche Trefferfläche mittels Schattenriss berechnet haben. Sicherlich kann man mittels des derzeitigen bzw. geplanten Flugverkehrsaufkommens auf dieser Route und dieser Trefferfläche zu einer Abschätzung der Wahrscheinlichkeit für den Super Gau kommen.
Aber hat man tatsächlich auch eine Folgenabschätzung vorgenommen und berücksichtigt, dass es sich dabei nicht um eine Acker- oder Waldfläche, sondern um ein dicht besiedeltes Gebiet mit einem Kernreaktor handelt? Das Anti-Atom-Bündnis Berlin Potsdam bezweifelt, dass das OVG eine Folgenabschätzung vorgenommen hat.
In solch einem Fall hätte das OVG folgende RSK-Empfehlung missachtet: „Für die Bewertung durch die RSK sind die Absturzhäufigkeiten und die darauf aufbauende Risikobetrachtung nur von begrenzter Bedeutung, da in die Robustheitsprüfung auch nicht unfallbedingte Einwirkungen durch Flugzeugabsturz einbezogen werden, für die derzeit keine probabilistische Bewertungsbasis vorliegt. Für die Bewertung solcher Einwirkungen sind die vorliegenden Ergebnisse der Untersuchungen zu den radiologischen Auswirkungen von Bedeutung. Dabei wurden die maximalen Folgen eines Flugzeugabsturzes untersucht."
Reaktorsicherheitskommission: Anlagenspezifische Sicherheitsüberprüfung RSK-SÜ deutscher Forschungsreaktoren unter Berücksichtigung der Ereignisse in Fukushima-I Japan; 447. Sitzung (03.05.12) 1-56 - Ist es nicht komisch, dass man für den Münchner Forschungsreaktor (FRM II), der im Gegensatz zum BER II nur etwas näher am Münchner Flughafen ist, zur Risikominimierung ein Beton-Containment als notwendig erachtet hatte? Die Außenwände und das Dach des Garchinger Forschungsreaktors (FRM II) haben eine Betonstärke von 1,80 Meter. Bei einem angenommenen Aufprall eines schnell fliegenden Militärjets können keine Wrackteile die Wand durchschlagen.
Wieso hatte man in Bayern Risikominimierungsmaßnahmen verordnet? Welches Risiko hatte man dort ermittelt - oder misst man in Bayern mit anderen Maßstäben?
TU München: FRM II ist flugzeugabsturzsicher (10.04.01) - Im Streit um das Zwischenlager am Kernkraftwerk Brunsbüttel hatte das OVG in Schleswig-Holstein mit Urteil vom 19. 6. 2013 bestätigt, dass der Betreiber "das Szenario eines gezielten Flugzeugabsturzes auf das Standortzwischenlager Brunsbüttel als zwar außerhalb des Wahrscheinlichen liegend, aber nicht grundsätzlich auszuschließen angesehen und daher … nicht dem Restrisiko zugeordnet [hat]. Dies entspricht der Bewertung durch das Bundesverwaltungsgericht …".
Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein: Urteil 4 KS 3/08
Bisher ist noch nie ein Flugzeug gegen eine nukleare Einrichtung gelenkt worden. Dennoch hat das OVG- Schleswig-Holstein entschieden, die Betriebsgenehmigung für ein nukleares Zwischenlager zu entziehen. Allein die Möglichkeit eines gelenkten Flugzeugabsturzes wurde für so gravierend gehalten, dass das so genannte Restrisiko und die zu erwartenden Folgen der Bevölkerung nicht zuzumuten sind. Der in Betrieb befindliche Atomreaktor in Wannsee befindet sich in einer Ein- und Abflugschneise eines Großflughafens. Da sich die meisten Flugzeugunfälle während der Start- oder Landephase ereignen, ist es durchaus gerechtfertigt von einer adäquaten Situation zu sprechen, die einen Ausschluss des sogenannten Restrisikos erfordert.
Im Verfahren um die Wannsee-Route hat das OVG wahrscheinlich diesen Aspekt überhaupt nicht bewertet. Uns scheint, dass ein Erfahrungsaustausch zwischen deutschen Gerichten geboten wäre. - In der Morgenpost gab es zu dem Thema die ultimative Beruhigungspille für die Leser "Über dem Reaktor gibt es bereits ein Flugverbot" – ein Flugverbot, das die großen Verkehrsflugzeuge überhaupt nicht tangiert. Das Flugbeschränkungsgebiet ED-R4 soll nur Überflüge über den Reaktor unterhalb von 660 m ausschließen. Es trifft nur auf Kleinflugzeuge nach Sichtflugregeln zu, es gilt nicht für Flüge nach Instrumentenflugregeln.
Hoffentlich stellt für das OVG dieses Flugbeschränkungsgebiet nicht eine Hauptsäule in der Begründung dar! - Zudem ist die Auffassung des Gerichts, die Angelegenheit sei mit dem Abschaltdatum 31. 12. 2019 erledigt, irrig. Die hochradioaktiven Brennelemente müssen noch längere Zeit am Standort Wannsee abklingen. Ein Endlager für diese wärmeentwickelnden hochradioaktiven Brennelemente ist noch lange nicht in Sicht.
Ausführliche Begründung des OVG