In Vorbereitung der Europawahl 2024 ist der Wahl-o-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) wieder eine willkommene Ergänzung, um sich seine persönliche Wahlentscheidung bestätigen zu lassen oder aber auch, um sich ohne viel Mühe eine Meinung zu den umfangreichen Wahlprogrammen zu bilden. Doch leider wird der Wahl-o-Mat keine vollständige Analyse der Wahlprogramme bieten können.

Aus diesem Grund hat das Anti-Atom-Bündnis Berlin Potsdam folgende Themen als Wahlprüfsteine ausgewählt:

  1. Wie steht die Partei zur Nato bzw. zur Verteidigung? Was wird zu Atomwaffen ausgesagt?
  2. Wie steht die Partei zu Fragen der Kernenergie und der Kernfusion?
  3. Welche Kernaussagen werden zum Klimaschutz und zu den Erneuerbaren Energien getroffen?
  4. Wie soll sich die EU demokratisch entwickeln? Wird das Parlament das sogenannte Initiativ-Recht für Gesetzesvorlagen erhalten?
  5. Wie steht die Partei zum Problem des Lobbyismus?
  6. Zwei Arbeitsorte für das EU Parlament kosten viel. Wer will das ändern?

Dabei gehören die Fragen 1 und 2 seit Beginn des Anti-Atom-Bündnisses Berlin Potsdam zu seinen Wahlprüfsteinen. Es schließt sich die existenzielle Frage des Klimawandels an (3). Angeregt durch das aktuelle Buch von Nico Semsrott "Brüssel sehen und sterben - Wie ich im Europaparlament meinen Glauben an (fast) alles verloren habe", wurden die Fragen 4 bis 6 formuliert. Laut bpb soll „Die Europäische Union … eine Union der Staaten und der Bürger [sein]. Sie hat also eine doppelte Legitimitätsgrundlage, durch die Mitgliedstaaten (diese vertreten durch die Regierungen) und durch die Bevölkerung (diese vertreten durch das Europäische Parlament)“. Doch ist die derzeitige Struktur der Europäischen Union zeitgemäß, demokratisch und effektiv?

Folgende Wahlprogramme wurden ausgewertet:

AfD

Europa Neu Denken

BSW

Programm für die Europawahl 2024

Bündnis 90/Die Grünen

WAS UNS SCHÜTZT

CDU/CSU

Mit Sicherheit Europa. Für ein Europa, das schützt und nützt.

Die Linke

Zeit für Gerechtigkeit. Zeit für Haltung. Zeit für Frieden.

FDP

Europa. Einfach. Machen.

Ökologisch-Demokratische Partei

WAHLPROGRAMM zum Antritt zur Europawahl 2024

Piratenpartei

Gemeinsames europäisches Wahlprogramm zur Europawahl 2024

SPD

Gemeinsam für ein starkes Europa.

Volt

Trau Dich Europa

 

Für das Anti-Atom-Bündnis in Berlin und Potsdam ergibt sich folgende Wertung entsprechend der Wahlprogramme:

  1. Nur wenige Parteien äußern sich klar zum Verbot von Atomwaffen: Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, die Ökologisch-Demokratische Partei und die Piratenpartei.
  2. Das Thema Kernenergie / Kernfusion ist ein K.o.-Kriterium für die BI. Es scheiden daher aus: AfD, CDU/CSU und Volt. Die FDP macht im EU-Wahlprogramm keine Aussage zur Atomenergie, schwört aber bekanntlich auf die „Technologieoffenheit“ und setzt sich weiterhin für die Kernfusion ein. Die Linke und die Ökologisch-Demokratische Partei fordern explizit die Auflösung des EURATOM-Vertrages, Bündnis 90/Die Grünen zumindest eine umfassende Reform.
    Bei der BSW wird Kernenergie / Kernfusion nicht thematisiert.
  3. Die meisten analysierten Wahlprogramme beinhalten das Thema Klimaschutz, doch BSW, CDU/CSU und FDP spezifizieren zu wenig sinnvolle Maßnahmen. Und die AfD leugnet den Klimawandel.
  4. Dem EU-Parlament fehlt derzeitig das Initiativrecht Gesetzesvorlagen einzubringen. Das ist ein struktureller Mangel. Die Forderung nach dem Initiativrecht für das EU-Parlament findet sich zum Glück in fast analysierten Wahlprogrammen. Nur die AfD schreibt: „Die EU ist ein undemokratisches und reformunfähiges Konstrukt“.
  5. Zum Lobbyismus haben folgende Parteien keine Aussagen gemacht: CDU/CSU, FDP, Ökologisch-Demokratische Partei und SPD.
  6. Die Ineffizienz der zwei Arbeitsorte des EU-Parlaments haben nur AfD, FDP und die Ökologisch-Demokratische Partei kritisiert.

Nico Semsrott hatte in seinem Buch weder Atomwaffen, Kernenergie noch Kernfusion thematisiert. Und dennoch ähnelt das Ergebnis unserer Analyse der Wahlprogramme seiner Wahlempfehlung (1):

Was ich [Nico Semsrott] empfehlen kann: Wähle die aussichtsreichste Partei, die nicht CDU/CSU oder AfD ist. Ich werde es selbstverständlich auch so machen. ... Wählbar werden Parteien in meinen Augen ab den Grünen und eben noch weiter links, solidarisch, umweltfreundlich und so weiter.

Und an die Nichtwähler gerichtet schreibt er (1):

Nicht zu wählen, bedeutet auch, denen, gegen die du bist, weniger entgegenzustellen. Mach das nicht. Das ist dumm.“


 Anhang zur Analyse der Wahlprogramme:
https://www.atomreaktor-wannsee-dichtmachen.de/downloads.html?download=98

Nico Semsrott:
"Brüssel sehen und sterben - Wie ich im Europaparlament meinen Glauben an (fast) alles verloren habe"
Verlag: Rowohlt Taschenbuch / Erscheinungstermin: 02.04.2024 /352 Seiten /ISBN: 978-3-499-01410-9