Deutschland ist zumindest bei der Nutzung der Atomenergie ausgestiegen. Wer sich beiläufig für die Folgen dieser Atomnutzung, d.h. für den Atommüll interessiert, der hat bestimmt auch schon etwas von den historischen Entsorgungssünden in Deutschland gehört. Ich denke da z.B. an die Asse II. Der BUND fasste das treffend zusammen: „Die Geschichte des Atommülls in Deutschland (und nicht nur hierzulande) ist eine Geschichte der Unverantwortlichkeiten, des politischen und fachlichen Betrugs und politischer und unternehmerischer Skandale.

Atommüll-Vernichter ein Werbegag?

Das erste Mal hörte ich bei dem sogenannten Scoping-Termin im Jahr 2020 im UVP-Verfahren zum Forschungsreaktor BER II von Plänen, den Atommüll verwerten und damit eine Endlagerung überflüssig machen. Ein Verein namens FREIER WALD e.V. hatte zu diesem Termin Experten geschickt, die für den Dual-Fluid-Reaktor Werbung machen sollten (siehe Anhang).

Und nun im Herbst 2023 konnte man in der Bildzeitung lesen: „Deutsche Forscher bauen Atommüll-Vernichter“ oder in der Berliner Zeitung: „Wir können das Problem der Endlagerung lösen“. Beide Zeitungen schrieben adressatengerecht und ließen dabei aber den Begriff der dahintersteckenden Technologie, der sogenannten Transmutation weg. Ich schaue in Wikipedia nach und finde: „Seit den 1990er Jahren werden als Transmutation spezielle Techniken bezeichnet, mit denen radioaktiver Abfall in seiner Gefährlichkeit verringert werden soll, indem durch Kernreaktionen mit freien Neutronen die besonders langlebigen radioaktiven Bestandteile in kürzerlebige verwandelt werden.

Und so einfach sehen die Entwickler des Dual Fluid Reaktors den Prozess inclusive einer „Nuklearen Recyclinganlage“ in einer Unternehmenspräsentation!

Dual Fluid Kraftwerk DF1500

„Skizze Dual Fluid Kraftwerk DF1500 (1500 MW) mit integrierter Recyclinganlage“ aus der Unternehmenspräsentation (Bild: Wikimedia Commons 2021)

Dagegen findet man ein gutes, empfehlenswertes 3 Minuten Video zur Erklärung des Begriffs Transmutation beim Bundesamt für die Sicherheit der kerntechnischen Entsorgung (BASE) unter dem Titel „Transmutation hochradioaktiver Abfälle“.

Ich lerne daraus, dass Transmutation

  • nicht für alle hoch-radioaktiven Abfälle geeignet ist und damit ein Endlager gebraucht wird,
  • immer mit dem Begriff „Partitionierung“ verbunden ist, das heißt, man müsste den radioaktiven Abfall durch aufwendige Verfahren zunächst einmal trennen und
  • ein Wiedereinstieg in die Atomtechnik für hunderte von Jahren bedeuten würde.

Doch wie steht eigentlich Deutschland dazu?

Wer annimmt, dass man auf der Webseite des zuständigen Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) zum Begriff „Transmutation“ Erhellendes finden würde, wird arg enttäuscht. Der Server meldet: „Leider gibt es keine Ergebnisse zur Suche nach „Transmutation“ (zuletzt abgerufen am 17.01.2024). Offen ist, ob es sich um ein technisches Problem der IT, eine überarbeitete ministeriale Gruppe „Öffentlichkeitsarbeit“ oder um ein Kommunikationsproblem des Ministeriums handelt. Oder ist „keine Meinung“ zu offenbaren eine Taktik, sich Optionen offen zu halten?  

Ah - ich erlebe einen Lichtblick! Auf der Veranstaltung des Nationalen Begleitgremiums (NBG) zum Thema die „Endlagersuche dauert länger - was nun? Bilanz & Perspektiven“ erklärte Staatssekretär Stefan Tidow des BMUV, dass ihm die „Heilsversprechen, die immer stärker auf den Markt drängen„ bezüglich der immer wieder auflebenden Diskussion zum Thema Transmutation Sorgen bereiten (Minute 25:30 bis 27:00). In der Diskussion hakte ich nach. Die Antwort des Staatssekretärs kann man sich ab Minute 53:20 bis 56:00 anhören.

Aber ich wollte es amtlich wissen und schrieb deshalb an das BMUV. Es kam eine ausführliche Antwort (siehe Anhang) mit folgenden Kern-Aussagen:

  • Auf der Grundlage des 2021 veröffentlichten Gutachtens „Sicherheitstechnische Analyse und Risikobewertung von Konzepten zu Partitionierungs- und Transmutationsanlagen für hochradioaktive Abfälle“ im Auftrag des Bundesamtes für die Sicherheit der kerntechnischen Entsorgung (BASE) zieht dieses Bundesamt das mit dem BMUV abgestimmte Fazit: „Auf diese Technologie als Ersatz für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle zu setzen, ist daher mit dem Verantwortungsprinzip nicht vereinbar. Dieses Prinzip ist im Standortauswahlgesetz verankert und sieht vor, dass ein bestmöglicher Schutz von Mensch und Umwelt vor den Wirkungen ionisierender Strahlung sowie die Vermeidung unzumutbarer Lasten für zukünftige Generationen gewährleistet sein muss.
  • Die Transmutation sei nach dem deutschen Atomgesetz nicht mit der geltenden Rechtslage in Deutschland vereinbar.
  • Das BMUV fördert keine Forschung hinsichtlich der Kernenergienutzung
  • Das BMUV fördert keine Forschung mit dem Ziel der Errichtung von Transmutationsanlagen Das BMUV fördert jedoch eine sicherheitsgerichtete Forschung zur Partitionierung und Transmutation
  • Der Euratom-Vertrag mit seiner Zielbestimmung – Förderung der Atomenergie – wird zunehmend als weder zeitgemäß noch mit dem deutschen Atomenergieausstieg vereinbar empfunden. … Das BMUV setzt sich auf europäischer Ebene – insbesondere im Kontext der Sekundärrechtssetzung – regelmäßig dafür ein, die Ausrichtung von Euratom den heutigen Verhältnissen anzupassen.
  • Das BMUV setzt sich dafür ein, dass Deutschland gegenüber der EU-Kommission zu gegebenen Anlässen immer wieder darauf hinwirkt, dass die Euratom-Forschungsförderung im Rahmen des Euratom Forschungs- und Trainingsprogramms möglichst weitestgehend auf die Sicherheitsforschung konzentriert werden sollte.

Was sollten wir als Anti-Atom-Bewegung merken /schlussfolgern?

  1. Wir sollten
    • das BMUV an eine transparentere Kommunikation auf ihrer Webseite erinnern,
    • politisch den Ausstieg aus dem Euratom-Vertrag verlangen und bis dahin kontrollieren, dass der Euratom-Vertrag keine Forschungsgelder hinsichtlich der Kernenergienutzung vergibt und
    • die bekannten Argumente gegen die Transmutation kennen und unwissenden Politikern und Moderatoren ggf. Hilfestellung anbieten.
  2. Es kann sein, dass der Prototyp eines neuen Atomreaktors namens Dual-Fluid-Reaktor in Ruanda wirklich funktionieren wird. Mit frischem Uran gefüttert wird er sicherlich Strom erzeugen können. Soll er aber für verbrauchten Kernbrennstoff eingesetzt werden, müsste der Prozess mit einer aus vielen Isotopen bestehenden Mischung von Spalt- und Aktivierungsprodukten funktionieren. Inwieweit die Entwickler dabei auf die traditionellen aufwendigen nasschemischen Reinigungsschritte tatsächlich verzichten können, bleibt abzuwarten. Und für die Transmutation von den sogenannten Actiniden müsste man Neutronen aus dem Reaktor abzweigen, die dann für die Erhaltung der Kettenreaktion nicht mehr zur Verfügung ständen…. Es ist noch vieles offen.
  3. Sicher ist, dass Transmutation ein Endlager nicht überflüssig machen kann.
    Aber „die Sicherheitsanalysen zu Endlagerkonzepten weltweit zeigen, dass es keinen wesentlichen Sicherheitsvorteil bringt, wenn das Endlager kleiner ist. Es lohnt sich nicht, diesen Parameter zu optimieren.“ Das „Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle“ basiert auf diesem Wissen.

Wir müssen wachsam sein, dass diese gesetzliche Basis nicht zerlöchert wird.

S.W.