Anlass für diesen Artikel war unser Beitrag „Kernfusion: Bagatellisierung durch Verschweigen?“ in dem wir dem Max-Planck-Institut (MPI) für Plasmaphysik (IPP) die stillschweigende Löschung eines Satzes aus Ihren FAQ’s zur Mengenabschätzung des radioaktiven Abfall vorgeworfen hatten. Da die Pressestelle des IPP nach mehrfacher Erinnerung die Gründe für die Streichung dieser Mengenabschätzung offengelegt hat, möchten wir Sie:

  1. über die Gründe des IPP informieren,
  2. Sie zu einem Exkurs in die Unwägbarkeiten der Mengenabschätzung des radioaktiven Abfalls von Fusionsreaktoren einladen und
  3. Sie anregen, über Sinn und Zweck nachzudenken.

1. Schätzung des radioaktiven Abfalls von Fusionsreaktoren aus dem Jahr 2005

Nach Aussagen des IPP basierte der bis zum Februar 2023 in den FAQ’s zu findende Satz:

Insgesamt wird ein Fusionskraftwerk während seiner etwa 30jährigen Lebenszeit je nach Bauart zwischen 60.000 und 160.000 Tonnen radioaktiven Materials erzeugen, das nach Betriebsende des Kraftwerks zwischengelagert werden muss.“

auf dem „Final Report of the European Fusion Power Plant Conceptual Study (PPCS)“ aus dem Jahr 2005. Dieser Satz wurde durch das IPP bei einer Überarbeitung der Webseite gestrichen, da dieser Satz „nicht mehr den Angaben aktueller wissenschaftlicher Veröffentlichungen entsprach[1].

Nach der Durchsicht des o.g. Final Reports und weiterer darauf basierender Einschätzungen ist nachzuvollziehen, dass die Angaben von 2005 nur grobe Richtwerte über die radioaktiven Abfallmengen sein konnten. Es gibt jedoch keinen Anlass daraus zu schlussfolgern, dass man heute von weniger radioaktivem Abfall ausgehen kann!  

Im Gegenteil: Da bisher keine technische Lösung für die fusionsbasierte Energiegewinnung existierte, konnten damals die Anforderungen an die verwendeten Materialien auch noch nicht abschließend spezifiziert werden. Die Eigenschaften der verwendeten Materialien z.B. beim Stahl hängen aber von dessen Zusammensetzung ab. D.h. die Katze beißt sich hier in den Schwanz und die Frage "Wie viel radioaktiver Abfall entsteht bei der Fusion?" lässt sich eigentlich erst nach Spezifikation der verwendeten Materialen incl. der Verunreinigungen klären.

Nach der Durchsicht des o.g. Final Reports wird aber auch klar, dass der radioaktive Abfall nur eines der vielen Probleme von Fusionskraftwerken ist. Die benötigten Mengen an radioaktiven Brennstoff Tritium offenbaren den Gigantismus von Fusionskraftwerken. Ein Fusionskraftwerk mit 1 GW benötigt etwa 150 kg Tritium pro Jahr. Klingt nicht viel – aber: „Das weltweite Tritium-Inventar infolge natürlicher Erzeugung umfasst ... eine Masse von etwa 3,5 kg[2].

2. Was weiß man heute bezüglich des radioaktiven Abfalls von Fusionsreaktoren?

Das IPP hat nun in die gekürzte Antwort auf die Frage „Entsteht bei der Fusion radioaktiver Abfall?“ zwei Zitate von neueren wissenschaftlichen Beiträgen zum radioaktiven Abfall aufgenommen. Wir werteten den Artikel Sehila M. Gonzalez de Vicente et al: Overview on the management of radioactive waste from fusion facilities: ITER, demonstration machines and power plants. 2022 Nucl. Fusion 62 085001 kursorisch aus. Der Artikel fasste die in dem IAEA Meeting „Entsorgungskonzept“ (Ende 2019) adressierten Hauptprobleme zusammen.

  • Verunreinigungen der in Fusionsreaktoren verwendeten Materialien bestimmen maßgeblich das später anzuwendende Abfall-Management. So muss z.B. der Gehalt am Schwermetall Niob (Nb) unter 1 ppm (part per million) gehalten werden. Und Beryllium sollte mit Uran nur mit 0,1 ppm verunreinigt sein.
  • Der Tritiumgehalt in den verschiedenen Abfallarten ist ein Schlüsselparameter für die Auswahl des Abfallbehandlungsverfahrens sowie für die Annahmekriterien für Endlager.
  • Achtung: Die häufig zur Charakterisierung von radioaktivem Abfall eingesetzte Gammaspektrometrie kann nicht zur Tritiummessung verwendet werden. Es sind aufwändige spezifische Messmethoden nötig.
  • Bei der Aufarbeitung von radioaktiven Materialien von Fusionsreaktoren muss man mit Strahlungen bis zu 10000 Sv/h rechnen. Dabei ist zu beachten, dass der Grenzwert für die effektive Dosis zum Schutz von beruflich strahlenexponierten Personen 20 mSv im Kalenderjahr beträgt. Bei dieser Strahlung würde man den Grenzwert für die Jahresdosis in ca. 0,007 Sekunden erreichen! D.h. es MÜSSEN ferngelenkte Systeme für die Aufarbeitung von radioaktiven Materialien von Fusionsreaktoren eingesetzt werden. Man gibt sich der Illusion hin, dass man die gesamte Aufarbeitung von einem Fusionsreaktor mit den "60.000 bis 160.000 Tonnen radioaktiven Materials" in weniger als einem Jahr mit den ferngelenkten Systemen schaffen würde.
  • Achtung: Alle Schätzungen zu den Abfallmengen beruhen auf den Freigabewerten der IAEA auf Basis des 10µSv Konzeptes.
  • Für möglicherweise relevante Isotope im Abfall von Fusionsreaktoren (10Be, 26Al, 32Si, 91,92Nb, 98Tc, 113mCd, 121mSn, 150Eu, 157,158Tb, 163,166mHo, 178nHf, 186m,187Re, 193Pt, 208,210m,212Bi, 209Po) sollen jedoch IAEA Empfehlungen für Freigabewerte fehlen.

Die Schlussfolgerung des IPP, die Mengenangaben zu dem radioaktiven Abfall aus den FAQ‘s zu streichen ist daher nicht nachvollziehbar. Die aufgezeigten Probleme zum Abfall-Management werden die zu erwartenden Mengen radioaktiven Abfalls eher noch steigern!

3. WER wird WANN den Gigantismus hinterfragen?

Forschungsgelder

Eine Basis für Forschungs-Gigantismus ist die Forschungsförderung in Form von Großgeräten. Dieses Phänomen untersuchte der Wissenschaftshistoriker Burghard Weiss anhand der Großforschung in Berlin am ehemaligen Hahn-Meitner-Institut und kam zu dem Resultat[3]:

Die Beantragung, Finanzierung und Weiterentwicklung solcher Großgeräte bekommt regelmäßig eine rational nicht mehr erklärbare Eigendynamik.

Unter der Rubrik „Wissenschaftskritik“ finden Sie bei uns in dem Beitrag: „Naturwissenschaftliches Denken und Handeln als Herrschaftsinstrument“ das Kapitel „BIG SCIENCE, GROSSFORSCHUNG. EINE NEUE WISSENSCHAFTSINDUSTRIE ENTSTEHT“ mit weiteren Analysen zum Thema. Und da wird auf Seite 71 gefragt:

Aber genau in was investieren? Dieser Frage sollten sich die Physiker in der Grundlagenforschung gemeinsam annehmen.Gebraucht wird eine Analyse der Fehlschläge der letzten Jahrzehnte und eine feldübergreifende Diskussion."

Aber wir wissen, dass unsere Sonne ein für uns funktionierendes Fusionskraftwerk ist, das fünftausend Mal mehr Energie auf die Erde sendet, als der Weltenergiebedarf groß ist (Wikipedia). Und wir wissen, dass die Kernfusion, falls überhaupt technisch realisierbar, zur Bekämpfung der Klimakrise viel zu spät kommt und zu teuer sein wird. Daran ändern auch nicht die immer wieder vermeldeten „Energie-Rekorde“ der Fusions-Forscher[4]

Die taz postulierte deshalb:

Sollte irgendwann die heute schon spottbillige Solarstromerzeugung auch noch ebenso billige Speicher zur Seite gestellt bekommen, könnte die Fusion auch schlicht daran scheitern, dass sie nicht konkurrenzfähig ist.“

Aber wir wissen auch, dass über die Ampel bis 2028 deutsche Steuergelder in Milliardenhöhe in die Fusionsforschung fließen, die Fusionsforschung einen Platz in dem Bayrischen Koalitionsvertrag hat und derzeitig AfD mit der CDU/CSU um eine „Stärkung der Fusionsforschung auf Weltklasseniveau“ kämpfen. 

Milliarden für Luftschlösser

Wer profitiert davon?

Wer von Fusionskraftwerken träumt, denkt in den Mustern der heutigen Großindustrie. Wenige zentrale Produzenten teilen sich in friedlichen Zeiten den Energie-Markt und die Dividenden. Doch man kann sich an allen 10 Fingern abzählen, was die ersten Angriffs-Ziele bei militärischen Auseinandersetzungen sein werden. Man bewahre uns vor solch einer Risikotechnologie!

Der BUND analysierte die Frage „Wer profitiert von Kernfusion?“ und resümierte: „Hinter der Kernfusion steckt also auch das Ziel, Forschungsgelder in militärische Fusionswaffen-Labore zu spülen“. Laut Drucksache 20/6622 (02.05.2023) hat die Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. (Max-Planck-Gesellschaft) keine Zivilklausel. Und dieses System alimentiert natürlich eine ganze Armee von Wissenschaftlern, die den zivilen und militärischen Sinn und Zweck nicht mehr hinterfragen. Wie viele der 1100 Mitarbeiter des IPP man dazu zählen muss, bleibt den Außenstehenden natürlich verborgen.

Globales System-Denken gefragt

Eisenhower hatte 1953 in seiner Rede „Atoms for peace“ vor der UNO als ein Ziel erklärt: „Ein besonderer Zweck wäre die Bereitstellung reichlicher elektrischer Energie in den stromarmen Gebieten der Welt.“ Heute wissen wir, dass Atomkraftwerke vorrangig in den Industriestaaten gebaut worden sind. Aber ist es überhaupt zielführend, dass die Menschheit ständig mehr Energie unnatürlicher Herkunft produziert und damit diese in den Strahlungshaushalt der Erde freisetzt? Kann die Menschheit wie der kleine Häwelmann immer „mehr, mehr“ Energie wollen? Das Denken, dass man die Stoff- und Energieströme der Erde global betrachten muss, ist ja erst wenige Jahre alt. Wie wird die Energie aus Atom- und Fusionskraftwerken langfristig den Strahlungshaushalt der Erde beeinflussen und welchen Konsequenzen könnte das auf das Klima haben? Haben sich IPP Forscher diese Frage auch gestellt?

Bitten an das IPP

Bitte erweitern Sie die FAQ‘s Ihrer Einrichtung um folgende Fragen:

  • Wie geht das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik mit Fehlern / Fehlschlägen / Fehlentwicklungen (BIAS) in der eigenen Grundlagenforschung um?
  • Warum hat sich die Max-Planck-Gesellschaft keine Zivilklausel gegeben?
  • Wie viel radioaktiver Abfall entsteht durch Fusionskraftwerke?
  • Wie wird der Strahlungshaushalt der Erde durch die in Atom- und Fusionskraftwerken erzeugte Energie beeinflusst?

[1] Persönliche Mitteilung der Pressestelle des IPP vom 12.01.2024

[2] „Tritium in der Umwelt“ VKTA – Strahlenschutz, Analytik & Entsorgung Rossendorf e.V 2/2019: https://www.vkta.de/wp/wp-content/uploads/2019/07/SSP_2_2019_Kaden.pdf

[3] Weiss, Burghard: Großforschung in Berlin; Geschichte des Hahn-Meitner-Institutes; Campus Verlag Frankfurt, New York 1994; ISBN 3-593-35133-1

[4] Europäisches Experiment erzielt Energierekord: https://www.ipp.mpg.de/5405195/jet_rekord_2024

Bildquellen:

Einleitungsbild: Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger auf dem FDP-Landes­partei­tag Hessen 2017

Da wir das Originalbild des BMBF "Mehr Geld für Fusionsforschung" nicht verwenden durften, haben wir die offiziellen Zahlen in unser Bild "Deutsche Forschungsgelder für Fusions-Luftschlösser ?" übernommen.